Die Tilla Bauen mit Recht

Nachdem wir in Wien beim Probewohnen eines Wohnwagons waren, wurde die Idee schnell konkreter: wir wollten unbedingt in einer «Kleinwohnform» in der Schweiz leben. Doch wie sieht das rechtlich aus? Wo darf ich eine «Kleinwohnform» hinstellen und welche gesetzlichen Vorschriften kommen dabei zu tragen? Gibt es durch die Nutzung des autarken Systems weitere Einschränkungen? Der Wohnwagon steht ja auf Rädern, sozusagen eine „Mobilie“ – gelten da andere Auflagen als bei einer Immobilie?

Wir platzierten unsere dringendsten Fragen beim lokalen Bauamt:

Darf man in einer «Kleinwohnform» wohnen, wenn man die Erlaubnis des Grundstückeigentümers bekommt?

„Nein, eine «Kleinwohnform» ist ebenfalls eine Wohnform und verlangt dadurch nach einer Baubewilligung. „

Falls Nein, was muss erfüllt sein damit dies erlaubt ist?

Es kommt das ordentliche Baubewilligungsverfahren zum Tragen. Das Wohnobjekt muss auf Bauland resp. in einer Wohnzone aufgestellt werden.“

Gibt es eine min. Stehzeit, für welche keine Baubewilligung notwendig ist?

Nein, grundsätzlich können bis 3 Monate als temporäre Parkzeit akzeptiert werden.“

Somit war klar, dass es nicht einfach sein wird, in der Schweiz, offiziell, in einer «Kleinwohnform» zu leben. Somit standen uns zwei Optionen zur Verfügung.

  1. Wir suchen einen Standplatz und bewohnen diesen «illegal» auf Absprache mit dem Eigentümer.oder
  2. wir nehmen den Aufwand der ordentlichen Baubewilligung auf uns obwohl dies nicht für diese Wohnform gedacht ist.

Wir entschieden uns für Zweiteres, da wir nicht nur selber in einer autarken «Kleinwohnform» leben möchten, sondern gleichzeitig die Hürden für Folgeprojekte abbauen wollen und unser Knowhow dazu teilen. Für uns war es dennoch erstaunlich, dass es baurechtlich keine Abgrenzung einer Immobilie (ein Gebäude, das ohne Enddatum errichtet wird) und einer Mobilie (ein Gebäude, das temporär oder mobil ist) gibt.

Für die Baubewilligung ist einiges an Grundwissen im Baurecht und Raumplanung notwendig. Da dies allerdings den Rahmen diesen Beitrag sprengen würde, hier die wichtigsten Eckdaten zusammengefasst.

 

Grundwissen:

Zuständigkeit:

Für das Baubewilligungsverfahren sowie die Baufreigabe ist das kommunale Bauamt (Gemeinde in welcher das «Gebäude» stehen soll) verantwortlich. Die Gesetzgebung untersteht der Bau und Zonenverordnung welche wiederum kantonal geregelt ist. Ist man noch auf der Suche nach einem Grundstück ist es somit schwierig die Vorabklärungen zu machen da die Vorschriften nach Gemeinde und Kantonen variieren.

Zonen:

Gemäss Schweizer Raumplanung sind alle Grundstücksflächen in Zonen eingeteilt. Diese sind jeweils im kommunalen GIS einsehbar. So gibt es Wohn-, Landwirtschaft-, Gewerbe-, Reserve-,  und viele weitere -Zonen. Jede Zone hat seine eigenen Anwendungsgebiete und Richtlinien. Auch die «Kleinwohnform» darf nur in einer Wohnzone/Kernzone zu stehen kommen (Mögliche Ausnahmen: Campingzone, Zonen für Fahrende, Landwirtschaftszone für den Landwirten/In. Wir werden dazu einen weiteren Beitrag verfassen)

Wohn/ Kernzone:

Innerhalb der Wohn und Kernzone sind ebenfalls diverse Vorschriften zu beachten (gemäss Art. 3 BZO). Z.B. Max. Bauhöhe, min Strassenabstand, min Grenzabstand, …

Autarkie Situation:

Baurechtlich ist es kein Problem strom- & wärmetechnisch autark zu sein. Es gibt hierzu keine weiteren Vorschriften solange die PV-Anlage sowie das Heizungssystem nach Anforderungen angemeldet werden.

Viel schwieriger wird es jedoch bei der Wasserautarkie. Auf einen Frischwasseranschluss kann grundsätzlich verzichtet werden. Für das Abwasser besteht jedoch in den Wohn & Kernzonen meistens eine Anschlusspflicht . Die Zuständigkeit für die Bewilligung der Pflanzenkläranlage liegt nicht beim kommunalen Bauamt, sondern beim Kanton, im Kanton Zürich somit beim AWEL. Das AWEL bestand dabei auf die Anschlusspflicht, unabhängig ob unsere Plfanzenkläranlage die geforderten Richtwerte erreicht. Grund dafür war, dass das AWEL nicht die entsprechenden Ressourcen hat, die Kleinkläranlage zu überprüfen. Somit waren wir gezwungen die Werkleitungsanschlüsse (Frisch / Abwasserleitungen) auf das Grundstück zu ziehen, welches mit Kosten von knapp 20’000 CHF verbunden war.

 Unsere Pflanzenkläranlage kommt dennoch zum Einsatz und wir werden gemeinsam mit der ZHAW die Reinigungsleistung der Anlage wissenschaftlich begleiten lassen. Wir wollen dabei herausfinden ob wir das Grauwasser direkt vor Ort reinigen können und die gesetzlichen Abwasserwerte erreichen. Diese Forschungsarbeit soll die Grundlage liefern, dass zukünftige Projekte auf die Abwasseranschlüsse verzichten können.

Das ordentliche Baubewilligungsverfahren:

Dies ist eine Wissenschaft für sich und wird bei den meisten Bauvorhaben direkt vom Architekten oder Planungsbüro übernommen. Bei uns hat dies einen Arbeitsaufwand von über 100 Arbeitsstunden generiert, da wir uns bei den Anforderungen zuerst einarbeiten mussten und für diverse Unterlagen externe Stellen kontaktieren mussten. Die Kosten häufen sich neben den Gebühren schnell auf über 10’000 CHF, wenn die Arbeitsaufwände eingerechnet werden.

Folgend die Übersicht über den Ablauf und die Unterlagen die wir (im Kanton Zürich) einreichen mussten.

Unterlagen/Dokumente:

  • Offizielles Baugesuch Formular (Kantonale Vorlage)
  • Katasterplan (Bauvorhaben auf GIS Auszug 1:500)
  • Umgebungsplan (Situationsplan detailliert auf GIS Auszug 1:250)
  • Querschnitte (Querschnitte des Bauvorhabens nach Massstab)
  • Grundriss (Grundriss des Bauvorhabens nach Massstab)
  • Aussenansicht/ Fassade (Visualisierte Aussenansicht)
  • Energienachweis (SIA380 Systemnachweis über die energetische Dämmung der Wohneinheit, muss Vorgaben erfüllen! Dies muss von einer zugelassenen Stelle erfolgen)

Die Vorschriften sind für «Kleinwohnformen» äusserst Nachteilhaft, da nicht die Gesamtenergie der Wohnform angeschaut wird sondern die Wärmedämmung pro m2. Da die «Kleinwohnform» nach Definition eine kleine Wohnfläche aufweist sind die Isolationsvorschriften nicht mehr im Verhältnis. 

  • Kanalisations- Entwässerungsplan (Werkleitungspläne für Frischwasser /Abwasser, muss mit den zuständigen Werken koordiniert werden)
  • Gebäude- und Wohnungserhebung (Kantonale Vorlage)
  • Parkplätze (Gemäss Parkplatzverordnung müssen pro Wohneinheit eine Anzahl Parkplatze bereitgestellt werden. Wir konnten in unserem Fall argumentieren, dass dies nicht zum tragen kommt, da das Projekt bewusst auf private Autos verzichten will)
  • Kataster der belasteten Standorte (Auszug aus dem GIS)
  • Prüfperimeter der Bodenverschiebung (Auszug aus dem GIS)
  • Gewässerschutz (Auszug aus dem GIS)
  • Heizung Gesuch / Installationsattest (Detaillierte Unterlagen der Wärmeerzeugung sowie der Brandschutzmassnahmen)
  • Solaranlage (Brandschutzmassnahmen für Feuerpolizei)
     

Ablauf:

  1. Baugesuch inkl. aller Unterlagen Einreichen
  2. Vorprüfung (3 Wochen)
  3. Allfällige Ergänzungen der Unterlagen werden innerhalb von 3 Wochen beim Gesuchsteller nachgefordert (§ 313 PBG).
  4. Publikation / Ausstecken
    Das Bauvorhaben ist durch die Bauherrschaft auszustecken und wird durch die Gemeinde publiziert und während 20 Tagen öffentlich aufgelegt (§§ 311 und 314 PBG). Ja, wir mussten die Kleinwohnform ausstecken!
  5. Im ordentlichen Verfahren (§§ 319 – 321 PBG) treffen die Bewilligungsbehörden ihre Entscheide in der Regel innert 2 Monaten seit der Vorprüfung.
  6. Ausstellung Baufreigabe.

 

Fazit:

Der Aufwand und die Anforderungen für ein Bauvorhaben scheinen uns nachvollziehbar und sinnvoll, sofern wir von einer Immobilie, die ja für die «Ewigkeit» gebaut wird, sprechen. Für eine «Mobilie» mit einer Standzeit von wenigen Jahren ist der Aufwand jedoch in keinem Verhältnis, besonders wenn bei jedem Standortwechsel der ganze Prozess von Neuem beginnt. Es ist daher auch nachvollziehbar weshalb die meisten «Kleinwohnform-Projekte» unter dem Radar laufen. Kosten, Aufwand und Auflagen für eine Bewilligung sind extrem hoch und viele Anforderungen nicht sinnvoll. (dazu dann ein separater Blog Beitrag).

Mit dem Projekt Tilla setzen wir uns aktiv dafür ein, neue, legale und sinnvolle Bewilligungswege für «Kleinwohnformen» zu suchen und das entsprechende Lobbying dafür zu betreiben. 

Solltest Du selber in einem ähnlichen Projekt stecken und hast Fragen, nimm einfach Kontakt mit uns auf.


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